Gemeinwohlorientierte Unternehmen: Definitionen und Kriterien
Auf den Ersten Blick scheint das Gemeinwohl schnell umrissen: Es geht um alles, was vielen Menschen einer Gemeinschaft zugutekommt und nützt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch schnell, dass es damit nicht getan ist. Die Frage, ob es eine analytisch-objektive Antwort darauf gibt, was der Allgemeinheit nützt, oder ob diese Frage vielmehr nur auf Grundlage von Erfahrungen beantwortet werden kann, ist Gegenstand philosophischer Auseinandersetzungen, die bis in die Antike zurückreichen. Politische Praxis, Soziologie und Rechtswissenschaft haben ebenso eigene Begriffsverständnisse entwickelt, wie in jüngerer Zeit die managementorientierte Gemeinwohl-Diskussion, welche vor allem auf den Nutzen abzielt, die eine Organisation für die Gemeinschaft erbringt.
Diesem eher theoretischen Zugang stehen handfeste praktische Fragen gegenüber. Welche Kriterien sind zu erfüllen, wenn ein Unternehmen von Förderzugängen und Unterstützungsangeboten für gemeinwohlorientierte Unternehmen profitieren möchte? Welche Themen sind in den Blick zu nehmen, wenn es darum geht, (m)ein Unternehmen stärker am Gemeinwohl auszurichten? Und wie kann Gemeinwohlorientierung sichtbar gemacht werden?
Wirtschaftspolitische Definitionen: Social Buisiness
Die EU Komission treibt bereits seit 2011 eine “Social Buisiness Initiative” (PDF, 0,8 MB) voran, aus der verschiedene Förder- und Unterstützungsangebote hervorgegangen sind. Um diese Programme gezielt auf gemeinwohlorientierte Unternehmen – der Begriff wird wirtschaftspolitisch in Deutschland oft synonym zum englischen “social buisiness” verwendet – zuschneiden zu können, war eine eindeutige und Kriterienbasierte Definition erforderlich.
Die Definition umfasst drei Kriterien, die auf unterschiedliche Dimensionen des unternehmerischen Handelns abzielen:
- Das soziale oder ökologische, gemeinwohlorientierte Ziel stellt den Sinn und Zweck der Geschäftstätigkeit gemeinwohlorientierter Unternehmen dar.
- Die Gewinne gemeinwohlorientierter Unternehmen werden größtenteils wieder investiert, um dieses Ziel zu erreichen.
- Die Organisationsstruktur oder Eigentumsverhältnisse gemeinwohlorientierter Unternehmen spiegeln dieses Ziel wider, indem sie auf Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiterbeteiligung basieren oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind.
Diese Definitionskriterien hat 2023 auch die Bundesregierung übernommen, als sie mit der “Nationalen Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen” erstmals ein abgestimmtes Handlungsprogramm zur Unterstützung dieser Unternehmen verabschiedet hat.
Vielfältige Perspektiven – Vergleichbare Anliegen
Während den Einen mit diesen drei übersichtlichen Punkten alles Entscheidende gesagt scheint, fangen an anderer Stelle erst die Fragen an. Was sind soziale oder ökologische, gemeinwohlorientierte Ziele? Nach welchen Mechanismen funktioniert die Reinvestition? Und woran lassen sich die geforderten Organisationsstrukturen und Eigentumsverhältnisse konkret festmachen?
Antworten auf diese Fragen suchen beispielsweise auch unterschiedliche Methoden zur Messung des Beitrags, den Unternehmen und Organisationen zum Gemeinwohl leisten. Die aus der Bewegung der Gemeinwohlökonomie hervorgegangene Gemeinwohl-Matrix unterscheidet dabei zum Beispiel die gemeinwohlorientierten Ziele nach den Wertekategorien Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Ökologische Nachhaltigkeit. Transparenz und Miteinscheidung bilden einen eigenen, vierten Bewertungsmaßstab. Die Reinvestition der Gewinne wird hingegen nicht abgebildet.
Auch Interessenverbände bieten Definitionsansätze an und wollten damit unter anderem die bis zum Erscheinen der nationalen Strategie lange Zeit bestehende Definitionslücke schließen. Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) e.V. bezieht sich in seiner Definitinon beispielsweise auf drei Dimensionen. Die gesellschaftliche Dimension umfasst die gemeinwohlorientierten Ziele des Unternehmens. Die Unternehmerische Dimension zielt darauf ab, dass sich gemeinwohlorientierte Unternehmen unternehmerischer Mittel bedienen, um ihre positive Wirkung zu verstärken. Die Governance-Dimension umfasst schließlich sowohl die Reinvestition der Gewinne als auch eine transparente und auf Mitwirkung ausgelegte Unternehmensstruktur.
Im Vergleich der unterschiedlichen definitorischen Zugänge wiederholt sich die Art der verwendeten Kriterien: Es gibt inhaltliche Kriterien, die sich auf Unternehmensziele beziehen, finanzielle Kriterien, die auf die Verwendung der Unternehmensgewinne abzielen und strukturelle Kriterien, welche die Implementierung transparenter und partizipativer Unternehmenspraktiken abdecken.
ÜBERSICHT BEISPIELHAFTER DEFINITIONEN UND KRITERIEN
EU-Kommission / Bundesregierung
soziale oder ökologische, gemeinwohlorientierte Ziele
Reinvenstition der Gewinne
Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiterbeteiligung oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet
Gemeinwohlökonomie
(Reformbewegung)
Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit sowie ökologische Nachhaltigkeit
Keine (wird in Unteraspekten berücksichtigt)
Transparenz und Miteinscheidung
SEND e.V.
(Interessenverband)
Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen im sozialen oder ökologischen Bereich durch unternehmerische Mittel
(Gesellschaftliche und Unternehmerische Dimension)
Reinvestition der Gewinne
(Governance Dimension)
Transparente und auf Mitwirkung ausgelegte Unternehmensstruktur
(Governance Dimension)
Ausweislich Gemeinwohlorientiert
Neben den überschneidenden Kategorien gibt es eine weitere Gemeinsamkeit: Um die inhaltlichen Kriterien auszugestalten, beziehen sich die unterschiedlichen Akteure alle auf die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Die sogenannten SDGs (Social Development Goals) bilden den Bezugsrahmen, an dem sich gemeinwohlorientierte Unternehmen messen lassen müssen.
Das gilt auch, wenn es darum geht Förder- und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, die – wie z.B. das Förderprogramm React with Impact – vielfach an die Erfüllung der Definition durch die Social Buisiness Initiative der EU Kommision gebunden sind. Die Beurteilung der Unternehmen erfolgt jedoch bisher immer nur im Einzelfall. Eine offizielle Möglichkeit, sich als Social Buisiness oder gemeinwohlorientiertes Unternehmen akkreditieren und zertifizieren zu lassen, gibt es bisher nicht. Wie ein entsprechendes Verfahren aussehen könnte, zeigt jedoch ein Blick nach Österreich: Der Austria Wirtschaftsservice verleiht nach Einreichung und Prüfung eines Wirkungsberichtes, einer Selbstverpflichtung und eines standardisierten Pitch Decks das sogenannte “Verified Social Enterprise Label” – vielleicht auch ein Zukunftsmodell für Deutschland?
Neugierig geworden? In der ersten Folge von „Um:Orientierung – Gemeinwohlwissen für Unternehmen“ erfahren Sie mehr über unterschiedlichen Sichtweisen auf den Begriff des Gemeinwohls.
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Der Podcast Um:Orientierung wird durch das Förderprogramm “REACT with impact – Förderung des Sozialunternehmertums” finanziert.